Bereits nach den ersten erfolgreichen Kamikazeeinsätzen begann man bei der japanischen Armee- und Marineluftwaffenführung damit, Flugzeugtypen in Auftrag zu geben, die alleine diesem Zweck dienten. Das bekannteste dieser Fluggeräte ist wohl die raketengetriebene Gleitbombe MXY „Ohka“ (deutsch „Kirschblüte“). Neben der „Ohka“ gab es aber noch viele andere Kamikazeprojekte, über die nur wenig bekannt ist, da die meisten von ihnen gar nicht über das Planungsstadium hinauskamen. Anfangs waren die Pläne für solche Flugzeuge noch kaum von denen konventioneller Maschinen zu unterscheiden. Dies änderte sich jedoch mit der immer bedrohlicher werdenden Kriegslage. Hatte man bei den ersten reinen Kamikazeflugzeugen noch einen hohen Anteil an kriegswichtigen Materialien wie zum Beispiel Aluminium verplant, so sollten die letzten Entwürfe fast ausschließlich aus Holz und Stoff gefertigt werden.
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Flugzeuge aus Holz und Stoff
Diese Unterschiede kann man gut an den Beispielen der Nakajima Ki-115 „Tsurugi“ (deutsch „Säbel“), der Kokusai „Ta-Go“ und der Kokukyoku „Jinryu“ („Heiliger Drache“) erkennen. Die Ki-115 „Tsurugi“ war eines der ersten, rein für den Kamikazeeinsatz geplanten Flugzeuge. Sie wurde am 20. Januar 1945 von der Japanischen Armee bei Nakajima in Auftrag gegeben. Die „Tsurugi“ durchlief einen für ihre Zeit normalen Entwicklungszyklus und sollte weitestgehend aus Holz und Stahl gefertigt werden. Der Antrieb bestand aus einem 843 kW (1130 PS) starken luftgekühlten Nakajima Ha-35-Vierzehnzylinder-Stern Sternmotor. Dieser brachte die Ki-115 auf eine maximale Geschwindigkeit von 550 km/h. Der Tiefdecker verfügte nur über ein offenes Cockpit, das lediglich mit den wichtigsten Instrumenten ausgestattet war.
Einfache Produktion hatte höchste Priorität
Die Hauptbaugruppen der Ki-115 „Tsurugi“ waren sehr einfach konstruiert und aus Holz. Foto und Copyright: KL-Dokumentation
Schon bei der Konstruktion achtete man darauf, dass auch mittelmäßig ausgebildete Fabrikarbeiter diese Maschine fertigen konnten. Ihre einzige Bewaffnung bestand aus einer bis zu 800 kg schweren Bombe, die in dem offenen Bombenschacht Platz fand. Je nach Größe schaute die Bombe bis zu 60 Prozent aus dem Bombenschacht hervor. Ein weiteres Merkmal war das abwerfbare Fahrwerk. Um Ressourcen wie Gummi und Stahl zu sparen, sollte der Pilot nach dem Start das Fahrwerk abwerfen, damit es danach bei einer anderen Ki-115 wiederverwendet werden konnte.
Dieses Konstruktionsmerkmal in Verbindung mit der nicht abwerfbaren Bomb machte klar, dass der Pilot, der keinen Fallschirm besaß, nicht notlanden konnte, falls er sein Ziel nicht finden oder seine Maschine einen Motorschaden erleiden sollte. Die Ki-115 war dennoch das favorisierte Kamikaze-Muster der Armeeführung. Bis zum Kriegsende wurden immerhin 115 Maschinen gefertigt.
Minimaler Aufwand, maximale Stückzahl
Die Kokusai „Ta Go“ auf der anderen Seite war ein inoffizielles und erst kurz vor Kriegsende begonnenes Projekt und unterschied sich komplett von allem, was bisher für den Kamikazezweck geplant worden war. Die Ki-115 befand sich zu dieser Zeit bereits als Hauptmuster für den Kamikazeeinsatz in der Produktion. Dennoch begannen einige der jüngeren Offiziere des Technischen Institutes der Armeeluftwaffe unter der Leitung von Hauptmann Yoshiyuki Mizuyama damit, eine eigene Maschine zu entwickeln. Ihr Projekt sollte einen minimalen Materialaufwand mit einer maximalen Produktionszahl vereinen. Außerdem sollte das Flugzeug von völlig ungeschulten Arbeitern gebaut werden können. Als Baumaterialien waren lediglich Stahl und Holz nebst Stoffbespannung vorgesehen. Es sollte aber auch möglich sein, im Notfall gänzlich auf Stahl zu verzichten. Auch bei der Motorisierung wurde kräftig gespart. So sollten zwei Versionen der „Ta-Go“ gefertigt werden, wobei eine Version mit einem 150 PS starken und die andere Version mit einem 500 PS starken, luftgekühlten Reihenmotor von Hitachi ausgestattet werden sollte. Vom Aussehen her glich der Prototyp eher einem Flugzeug der Zwanziger als einer Maschine der Vierzigerjahre. Alle Teile der „Ta-Go“ waren so einfach zu fertigen, dass es möglich gewesen wäre, eine große Anzahl solcher Flugzeuge in kürzester Zeit auch ohne viel technisches Gerät praktisch überall herzustellen. Bis Kriegsende wurde jedoch nur ein Prototyp gebaut, der auch einige Testflüge absolvierte.
Ein Gleitflugzeug als letzte Waffe
Die MXY „Ohka“ war eine raketengetriebene Bombe, die der Pilot mit hoher Geschwindigkeit ins Ziel steuern sollte. Viele wurden schon mit ihren Mutterflugzeugen abgeschossen. Foto und Copyright: KL-Dokumentation
Aus einem Projekt von 1944 entwickelte man, beauftragt von der Marine, Mitte 1945 ein noch einfacheres und noch schneller zu bauendes Kamikazeflugzeug: die Kokukyoku „Jinryu“ („Heiliger Drache“). Die „Jinryu“ war praktisch ein Gleiter, gänzlich aus Holz mit Stoffbespannung gefertigt. Sie war nur knapp 7,60 Meter lang und hatte eine Spannweite von sieben Metern. In ihrem Rumpf fand eine 100 kg schwere Sprengladung Platz, die die „Jinryu“ hauptsächlich gegen M4 Sherman-Panzer einsetzten sollte.
Aufgrund des fehlenden Motors plante man, die „Jinryu“ dicht hinter der Front mit Hilfe von angehängten Startraketen in die Luft auf bis zu 400 Meter Höhe zu bringen. Ihre Reichweite betrug nur vier Kilometer. Es sollte aber auch bei fehlenden Startraketen möglich sein, mit einer Winde zu starten. Bis Kriegsende wurden von Mizuno fünf Prototypen gefertigt.
Wie schon die „Ta-Go“ konnte auch die „Jinryu“ von völlig ungeschulten Arbeitern praktisch auf den Reisfeldern gefertigt werden. Auch an die späteren Piloten wurden kaum noch Ansprüche gestellt.
Schüler und Studenten als Kanonenfutter
Bei der Ki-115 sollten anfänglich noch reguläre Piloten den Kamikazeeinsatz ausführen, da auch die „Tsurugi“ einen geschulten Piloten verlangte. Bei der „Ta-Go“ und „Jinryu“ hingegen sollten von Anfang an auch Zivilisten wie Schüler und Studenten in den Kampf geschickt werden. Vorgesehen waren lediglich Trockenübungen am Boden sowie ein oder zwei „Schulungsflüge“. Mehr war aus der Sicht der Armee und Marineführung auch nicht nötig, da die Piloten „nur“ dicht an der Front starten und sich mit ihren Maschinen auf feindliche Panzer und anderes Gerät stürzen sollten. Man glaubte, wenn man am Tage der Invasion Japans nur genügend dieser Flugzeuge einsatzbereit hätte, könnte man die Panzerwaffe des Gegners schon an den Landestränden vernichten oder so stark beschädigen, dass diese nicht mehr effektiv kämpfen könnten. Über eine präsente und sehr starke feindliche Luftabwehr bei einer alliierten Invasion der japanischen Hauptinseln dachte man nicht nach. Man plante, einfach so viele Flugzeuge einzusetzen, dass genügend durchkämen.
Katastrophale Erfolgsquote
Heute geht man davon aus, dass nur fünf Prozent der gestarteten „Ta-Go“ und noch weniger „Jinryu“ ihre Ziele auch wirklich erreicht hätten, denn beidiesen tieffliegenden, langsamen und völlig ungepanzerten Flugzeugen wäre wohl eine leichte Infanteriewaffe in der Lage gewesen, den Piloten tödlich zu treffen oder zumindest so schwer zu verwunden, dass er die Kontrolle über seine Maschine verlieren würde. Bei der Nakajima Ki-115 sah es nicht besser aus. Sie wäre zwar schneller und deutlich stabiler gewesen, aber dennoch leichte Beute für die alliierten Jäger. Glücklicherweise fand jedoch nie eine Invasion der japanischen Hauptinseln statt und so wurde diese Art von Fluggeräten nicht mehr in den Einsatz geschickt.